Dienstag, 13. Juni 2017

Der Mann vom Kölner Institut und Dessau

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Dessau-Roßlau: 
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Hoffnungsträger mit blauen Flecken 


DESSAU-ROSSLAU/MZ

Dessaus größte Hoffnungsträger, Karl Lichtblau vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, brauchte ein paar Sätze, diese zu demontieren. Das Bauhaus? "Es hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, keine Verknüpfung zur Hochschule und auch keinen Willen dazu." Das Umweltbundesamt? "Es ist eine solitäre Bundesbehörde, die in der Region keine strukturelle Wirkung hat." Der Tourismus? "In sämtlichen touristischen Kennziffern ist eine Stadt wie Weimar mit dem Faktor 4 besser." Lichtblau formulierte die frisch erarbeitete Sicht eines Außenstehenden mit schonungsloser Offenheit. Genau das war seine Aufgabe.


Auftrag im November 2009

Im November vergangenen Jahres hat das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft den Auftrag erhalten, für das kreisfreie Oberzentrum Dessau-Roßlau ein Wachstums- und Entwicklungskonzept zu erarbeiten. Ein solches Papier war der größte Wunsch von Joachim Hantusch, dem neuen Dezernenten für Wirtschaft und Stadtentwicklung. Es brauchte Monate, eine Möglichkeit zu finden, es extern zu finanzieren.

In den fünf Monaten hat das Institut hunderte Zahlen und Fakten zusammengetragen und 30 Interviews in Dessau-Roßlau, in Anhalt und in Magdeburg geführt. Im Ergebnis steht ein Zwischenbericht, den Lichtblau am Donnerstag dem Ausschuss für Wirtschaft, Stadtentwicklung und Tourismus und dem Wirtschaftsbeirat der Stadt präsentierte. Zurück blieben reichlich konsternierte Stadträte und Unternehmer. Lichtblau hatte ihnen binnen einer Stunde eines klar gemacht: Viele Chancen hat Dessau-Roßlau nicht mehr.

Ganz am Anfang standen drei Grafiken. Eine Übersicht stellte Produktivität und Arbeitslosigkeit ins Verhältnis mit den insgesamt 413 Landkreisen und kreisfreien Städten im Land. Dessau-Roßlau liegt dort auf Platz 392. Eine Tabelle dokumentierte die wirtschaftliche Dynamik in den Jahren 2000 bis 2009. Dessau-Roßlau nimmt dort den 61. Platz ein. Ein ordentlicher Wert. Eigentlich. Trotzdem reicht der eben nur zu Platz 392 im viel wichtigeren Ranking. Ein Diagramm zeigte die demografische Entwicklung und hatte drei Linien. Eine normale, fast waagerechte, die die vorausberechnete Entwicklung in Deutschland verdeutlichte. Eine leicht abfallende Linie, die zeigte, was aus den ostdeutschen Oberzentren wird. Und dann gab es da noch eine dramatisch fallende Linie, die Dessau-Roßlaus Zukunft beschrieb. "Das Problem der demografischen Entwicklung", bilanzierte Lichtblau, "dominiert in Dessau-Roßlau aus."

Der Mann vom Kölner Institut hatte die Dessau-Roßlauer Stärken und Schwächen analysiert - und vor allem eines festgestellt: Dessau-Roßlau fehlt - unabhängig von der Hochschule - eine wissenschaftliche Infrastruktur, die die Stadt interessant macht für junge und hoch qualifizierte Leute - und damit auch zukunftsfähig.

Vier ernsthafte Entwicklungsperspektiven benannte Lichtblau für Dessau-Roßlau. In dieser Deutlichkeit hat das bislang noch keiner definiert. Als Biopharma-Gesundheitsregion. Wenn die Stadt die Potenziale des Biopharmaparks in Rodleben mit seinen über 800 Mitarbeitern stärker nutzt und auch das Städtische Klinikum einbindet. Als Stadt des Bauhauses. Wenn das Haus nicht nur als touristisches Ziel wahrgenommen wird, sondern stärker auf die Bildung setzt. "Ein paar Sommerkurse", kritisierte Lichtblau, "reichen da nicht aus." Als kulturelles und touristisches Ziel. "Wenn die Vermarktung entscheidend verbessert wird." Und als Dienstleister für das Umland hat die Stadt Chancen. Wenn Dessau-Roßlau "Tauschmengen" findet.


Problematisches Verhältnis

Das Verhältnis von Dessau-Roßlau zum Umland sah Lichtblau problematisch. "Mit der Entscheidung, kreisfreies Oberzentrum zu bleiben, hat sich die Kooperationsstrategie signifikant verschlechtert." Stadträte und Unternehmer forderte Lichtblau auf, vor allem auf eine Frage eine Antwort zu finden: "Warum soll das Umland mit Dessau-Roßlau kooperieren?"

Es ist nicht die einzige Antwort, die aussteht. Joachim Hantusch gab das unumwunden zu. "Nur wenn wir wissen, wo wir stehen, wissen wir auch, wo wir anpacken müssen", verteidigte der Dezernent die kritische Bestandsaufnahme, die in den nächsten Wochen verfeinert werden soll. Das Institut der Deutschen Wirtschaft wird weitere Gespräche führen und die Recherchen vertiefen. "Wir werden beispielsweise untersuchen, wo in letzter Zeit wissenschaftliche Institute und private Hochschulen erfolgreich gegründet wurden", sagte Lichtblau. Gesucht wird eine Handlungsblaupause für Dessau-Roßlau. "Wir müssen uns", sagte Hantusch, "Nischen schaffen."

Dessau-Roßlaus Unternehmer stehen ihm dabei zur Seite. "Wir brauchen definitive Strategiefestlegungen", forderte Rolf Rätzer, Chef des Anhaltischen Elektromotorenwerkes und Präsident des Wirtschafts- und Industrieclubs Anhalt. Heinz Hoffmann, Chef der IDT Biologika GmbH, dem großen Hoffnungsträger, sah das ähnlich. "Wir brauchen Leitlinien, die nicht im Leitbild untergehen. Und wir dürfen nicht noch einmal 10 Jahre nur Absichtserklärungen abgeben." Das Wachstums- und Entwicklungskonzept müsse dabei helfen. Genau deshalb hatte es Hantusch in Auftrag gegeben.



Quelle: http://www.mz-web.de/7536454 ©2017

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